Schichtbetrieb im ÖPNV praktisch nicht umsetzbar im ländlichen Raum

Autor Marcel Hardrath
Schichtbetrieb im Busverkehr

Seit den ersten Diskussionen zur Wiedereröffnung der Schulen gibt es von Seiten der einzelnen Kultusministern Überlegungen einen Schichtbetrieb an den Schulen einzuführen und für Schüler jeweils 8/10/12/14/16 Uhr An- und Abfahrten mittels ÖPNV anzubieten.

In mehreren Bundesländern gab es öffentlich vorgetragene Überlegungen zur Einführung von Schulschichtbetrieben. Hintergrund dieser Idee besteht darin möglichst Gruppengrößen von maximal 10 Schülern je Raum in den Schulen zu ermöglichen und trotzdem aufgrund beschränkten Raumzahl einen Präsenzunterricht zu ermöglichen.

Nach den Vorstellungen der Länder ist eine Umsetzung möglich, wenn Schülergruppen in Schichten die Schulen erreichen und wieder verlassen. Was sich in großen Städten mit einem dichten ÖPNV-Angebot aus Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen als machbare Lösung herausstellen könnte, ist im ländlichen Raum nicht umsetzbar.

Um dies zu Veranschaulichen möchte ich als erstes den Status Quo erläutern:

Ausrichtung von aktuellen Verkehren im ländlichen Raum

Gerade im ländlichen Raum ist die Bereitstellung von bedarfsgerechten Verkehren mit hohen Kosten und geringen Einnahmen verbunden. Viele Aufgabenträger haben in den vergangenen 20 Jahren aufgrund von falscher Sparpolitik immer weiter reduziert. unter ÖPNV-Fachleuten spricht man daher beim Nahverkehr im ländlichen Raum von einer sogenannten “Resterampe”. Das Angebot ist so schlecht aufgestellt, dass es nur den Ansprüchen von Nutzern genügt die keine Alternativen in der Beförderung haben, dazu gehören neben hochbetagten Fahrgästen, Personen mit niedrigem oder gar keinem Einkommen und auch die Schüler.

Die vorhandenen Kapazitäten sind so ausgerichtet, dass der Schülerverkehr um 8 Uhr, 12 Uhr und 14 Uhr sichergestellt ist, außerhalb dieser Verkehre gibt es größere Lücken die die Anbindung einzelner Siedlungseinheiten stark einschränkt.

Zur maximalen Auslastung und optimalen Einsatz der noch vorhandenen Kapazitäten erfolgt die Anfahrung der einzelnen Ziele hintereinanderweg. Vereinfacht ausgedrückt werden die Schüler in den kleinen Dörfern unabhängig der Schulart und Klassenstufen eingesammelt und anschließend die an den Grund-, Regelschulen und Gymnasien so abgeliefert, dass der Unterricht zwischen 7:45 Uhr und 8:00 Uhr beginnen kann. Dafür gibt es eine längere Beförderungsdauer, die in manchen Bundesländern je nach Alter auf 30 bis 60 Minuten rechtlich begrenzt wird. Aufgrund dieser Vorgaben gibt es eine Vielzahl von Schülern die bereits 6:15 Uhr einsteigen und den Bus wieder um 7:15 Uhr verlassen und sich dann bis 8:00 Uhr auf den Unterricht vorbereiten können. Am Nachmittag erfolgt dann die gleiche Maßnahme nur in der entgegengesetzter Lastrichtung.

Hierbei muss also klar gesagt werden, dass es morgens aus den Dörfern in die Schulen geht und am Nachmittag wieder aus den Schulen zurück in die Dörfern. Im Zeitraum dazwischen ist es nicht so, dass die Fahrzeuge immer den gleichen Weg pendeln würden, für solche Linienverkehre gibt es zu wenige Fahrgäste in zu kleinen Siedlungseinheiten und unattraktive Fahrzeiten im ÖPNV.

Während also in den Morgenstunden und am frühen Nachmittag Lastspitzen mit stehenden Schülern und teilweise sehr vollen Fahrzeuge die Regel sind, ist aus Gründen der Sparsamkeit im übrigen Tagesverlauf, nur ein begrenztes ÖPNV-Angebot verfügbar.

Was man nun aufgrund der Pandemie vorschlägt

Aus den einzelnen Bundesländern gibt es Vorschläge zu einem Rotations- und einem Schichtsystem. Ein Rotationssystem bedeutet, dass sich die Fahrtzeiten und Linienverkehre nicht anpassen müssen. man reduziert die die übliche Klassenstärke von ca. 27 Schüler auf insgesamt max. 10 Schüler oder ordnet diesen Schülern einzelne Präzenzstage zu. Bei diesem System reduziert sich die genutzte Kapazität in den Fahrzeugen und damit verbessert sich sich die Abstandshaltung. Das Fahrtenangebot und die Kostenseite ändert sich nicht im ÖPNV. In Kombination mit einem virtuellen Lernangebot stellt diese Lösung den geringsten Eingriff in den ÖPNV dar. Aufgrund der geringeren Nutzerzahl sind Abstandsregelungen und Übertragungswege reduziert.Ein Schichtsystem bedeutet, dass über den Tag verteilt viele kleine Gruppen von Schülern befördert werden müssen. in diesem Zusammenhang muss das Angebot von Fahrten im ÖPNV erhöht werden. Von der Thüringer Landesregierung wurde hier 8/10/12/14/16 vorgeschlagen. Ein solches System würde zu einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten führen, also z.B. Unterricht von 8:00 - 10:00 oder 10:00 bis 14:00 Uhr. Dafür müsste der ÖPNV also ständig in einem 120 Minutentakt zwischen den kleinen Siedlungseinheiten und den Schulen pendeln. Dabei wir es aufgrund der Fahrtenorganisation und den vermehrten Kontakten von Schülern an den Haltestellen zu einem höheren Übertragungsrisiko kommen.

Warum ein Schichtsystem nicht umsetzbar ist im ländlichen Raum

Eigenwirtschaftliche und gemeinwirtschaftliche Verkehre haben bisher auf eine Lastspitzenkapazität geplant. Also wenige und größere Fahrzeuge um morgens und Nachmittags mit möglichst einem Fahrer die Schüler zu transportieren. Jedes weitere Fahrzeug und Fahrer führen zu einer Kostensteigerung und aufgrund der festgelegten Fahrpreise gilt es hier optimal zu arbeiten. Tagsüber werden die Fahrzeuge dann eingesetzt um die im jeweiligen Nahverkehrsplan vorgegebenen Mindesterschließungsstandarts zu erreichen.Jetzt eine Ausweitung des Verkehrs vorzunehmen, bedeutet das man zusätzliche Fahrzeuge und Fahrer benötigt Beide sind nicht innerhalb von wenigen Wochen zu beschaffen, auch wird es keine Anpassung der Ticketspreise geben. Für die Verkehrsunternehmen bedeutet dies also nur höhere Kosten ohne eine Deckung durch die Schulträger.im Freistaat Thüringen liegen die Kosten je gefahrenen Buskilometer zwischen 2,20 und 2,90 €. Um so ländlicher der Raum und umso länger die Linien sind, umso höher sind diese Kosten. Unter Berücksichtigung einer 5 Tage Woche kann man im Durchschnitt von ca. 550 € an Kosten je zusätzlichen pro Busfahrt und Schule in einer Woche ausgehen. das klingt im ersten Moment nicht sehr viel, 8/10/12/14/16 führt allerdings zu insgesamt zu 2.700 € je Schule pro Woche, also bei einem mittleren ländlichen Landkreis zu 45.700 € an zusätzlichen Ausgaben je Woche. Dabei muss auch klar berücksichtigt werden, dass gerade im Busbetrieb der Fahrscheinverkauf beim Fahrer / Vordereinstieg seit Mitte März ausgesetzt wurde und viele Busunternehmen im ländlichen Raum hohe Einnahmeverluste zu verkraften haben.Ungeachtet der Kosten benötigt man aufgrund der langen Linienwege min. 6 zusätzliche Fahrzeuge und Fahrer pro Landkreis. Allein die dafür notwendigen Investitionen liegen bei mehr als einer Million Euro für die Fahrzeuge. Kurzfristig Busfahrer zu finden dürfte schwierig sein, sie Auszubilden geradezu unmöglich.Die Politik ist daher gut beraten realistisch zu planen und ein Rotationssystem weiter zu verfolgen. Der Übergang in ein Schichtsystem ist weder kurzfristig möglich noch finanzierbar.