Das Prinzip der Zentralen Orte im Freistaat Thüringen
Das Zentrale-Orte-Prinzip ist ein Konzept der Raumordnung, das die hierarchische Gliederung von Siedlungen nach ihrer Funktion und Bedeutung für das Umland beschreibt. Das Ziel ist eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen sowie eine ausgewogene Entwicklung der Regionen.
Das Zentrale-Orte-Prinzip wurde von dem deutschen Geographen Walter Christaller in den 1930er Jahren entwickelt wurde. Es beschreibt die Anordnung und Hierarchie von Siedlungen in einer Region nach ihrer Funktion und ihrem Einzugsgebiet.
Christaller ging davon aus, dass es in einer homogenen Landschaft mit gleichmäßiger Bevölkerungsverteilung und Verkehrsanbindung einen optimalen Abstand zwischen zentralen Orten gibt, die verschiedene Güter und Dienstleistungen anbieten. Je höher die Zentralität eines Ortes ist, desto seltener und spezialisierter sind die Angebote, die er bereitstellt, und desto größer ist sein Einzugsgebiet, das heißt der Bereich, aus dem er Kunden anzieht. Umgekehrt gilt: Je niedriger die Zentralität eines Ortes ist, desto häufiger und allgemeiner sind die Angebote, die er bereitstellt, und desto kleiner ist sein Einzugsgebiet.
Christaller untersuchte drei mögliche Anordnungen von zentralen Orten: die K=3-, die K=4- und die K=7-Lösung. Die K-Zahl gibt an, wie viele Orte der nächstniedrigeren Stufe in das Einzugsgebiet eines Ortes der nächsthöheren Stufe passen. Die K=3-Lösung ist die einfachste und ergibt ein regelmäßiges Sechseckmuster von zentralen Orten. Die K=4-Lösung ist komplexer und ergibt ein unregelmäßiges Viereckmuster von zentralen Orten. Die K=7-Lösung ist die komplizierteste und ergibt ein unregelmäßiges Dreieckmuster von zentralen Orten.
Das Zentrale-Ort-Prinzip hat einen großen Einfluss auf die Raumplanung und die Regionalentwicklung gehabt. Es hat geholfen, die räumliche Verteilung von Bevölkerung, Wirtschaft und Infrastruktur zu erklären und zu gestalten. Es hat aber auch Grenzen und Kritikpunkte, wie zum Beispiel die Vernachlässigung von historischen, politischen und kulturellen Faktoren, die Abweichungen von der idealen Modellvorstellung verursachen können.
Verteilung in Thüringen
In Thüringen wurde das Zentrale Orte Prinzip in den 1990er Jahren eingeführt und seitdem mehrfach angepasst. Die aktuelle Raumordnung basiert auf dem Landesentwicklungsplan 2025, der im Jahr 2018 beschlossen wurde. Darin werden die Zentralen Orte in vier Stufen unterteilt: Oberzentren, Mittelzentren und Grundzentren. Die Zuordnung erfolgt nach Kriterien wie Einwohnerzahl, Arbeitsplatzangebot, Verkehrsanbindung und Versorgungsfunktion.
Die Oberzentren sind die wichtigsten Zentralen Orte in Thüringen. Sie haben eine überregionale Bedeutung für Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Verwaltung. Zu den Oberzentren gehören Erfurt (Landeshauptstadt), Jena (Wissenschafts- und Wirtschaftszentrum) und Gera (Ostthüringer Zentrum).
Die Mittelzentren sind die zweite Stufe der Zentralen Orte. Sie haben eine regionale Bedeutung für das Umland und ergänzen die Funktionen der Oberzentren. Zu den Mittelzentren gehören unter anderem Eisenach, Gotha, Suhl, Altenburg, Weimar und Nordhausen.
Die Grundzentren sind die dritte Stufe der Zentralen Orte. Sie haben eine lokale Bedeutung für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Zu den Grundzentren gehören unter anderem Arnstadt, Bad Langensalza, Ilmenau, Schmalkalden und Saalfeld.
Das Zentrale Orte Prinzip in Thüringen soll dazu beitragen, dass alle Menschen im Land gleichwertige Lebensverhältnisse haben und die Potenziale der Regionen gefördert werden. Es ist ein wichtiges Instrument der Raumplanung und -entwicklung, das stetig an die Veränderungen der Gesellschaft und des Marktes angepasst werden muss.
Kritik am Konzept
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idealisierte Prämissen
Räume sind nicht homogen, sondern weisen unterschiedliche natürliche, soziale und wirtschaftliche Bedingungen auf. Die Produktion und Nachfrage sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern konzentrieren sich auf bestimmte Orte oder Regionen. Die Einkommen, Kaufkraft und Bedürfnisse der Menschen sind nicht gleich, sondern variieren je nach Alter, Geschlecht, Bildung, Kultur usw. Das Verkehrsnetz ist nicht gleichförmig, sondern abhängig von der Topographie, dem Ausbauzustand und den Verkehrsmitteln. Die Anbieter und Nachfrager streben nicht nur nach Gewinnmaximierung oder Kostenminimierung, sondern werden auch von anderen Faktoren wie Präferenzen, Gewohnheiten oder sozialen Bindungen beeinflusst.
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dynamische Veränderungen
Zentrale Orte und ihre Ergänzungsgebiete sind nicht fixiert, sondern unterliegen einem ständigen Wandel durch demographische, wirtschaftliche, technologische oder politische Entwicklungen. Die Zentralität eines Ortes kann sich erhöhen oder verringern, je nachdem wie er sich an die veränderten Rahmenbedingungen anpasst oder neue Funktionen übernimmt. Die Ergänzungsgebiete können sich vergrößern oder verkleinern, je nachdem wie sich die Mobilität und die Kommunikation der Menschen verändern. Die Hierarchie der zentralen Orte kann sich verschieben oder auflösen, je nachdem wie sich die Konkurrenz oder Kooperation zwischen den Orten gestaltet.
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Vielfalt und Komplexität
Das Konzept zielt auf eine hierarchische Gliederung der Räume ab, die eine optimale Versorgung der Bevölkerung mit allen Gütern und Dienstleistungen gewährleisten soll. Dabei werden jedoch andere Aspekte wie die Identität, die Qualität oder die Nachhaltigkeit der Räume vernachlässigt. Das Konzept berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der verschiedenen Akteure in den Räumen, die oft zu Konflikten oder Koalitionen führen können. Das Konzept ignoriert auch die vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Orten und ihren Ergänzungsgebieten, die über die rein funktionale Versorgung hinausgehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Zentrale-Orte-Konzept eine wichtige theoretische Grundlage für das Verständnis der räumlichen Strukturen und Prozesse darstellt, aber auch einige Schwächen und Grenzen aufweist. Es ist daher notwendig, das Konzept kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.