Einführung des 9-Euro-Ticket im Nahverkehr / Fragen und Antworten

Autor Marcel Hardrath
Straßenbahnen in Nordhausen

Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hat am 23.03.2022 ein „Maßnahmenpaket des Bundes zum Umgang mit den hohen Energiekosten“, welches die zeitlich befristete Einführung eines 9-Euro-Tickets im Nahverkehr beinhaltet beschlossen.

Einführung

Der ÖPNV ist gerade in der aktuellen Situation für viele Bürgerinnen und Bürger eine notwendige, leistungsfähige und kostengünstige Alternative zum eigenen Pkw und gleichzeitig das umweltfreundlichste Verkehrsmittel neben dem Fahrrad, … . Deshalb führen wir für 90 Tage ein Ticket für 9 Euro/Monat („9 für 90“) ein und werden die Regionalisierungsmittel so erhöhen, dass die Länder dies organisieren können. …
Beschlusstext des Maßnahmenpapiers des Koalitionsausschusses vom 23.03.2022, Koalitionsausschuss

Der Beschluss selbst ist bemerkenswert, da der Bund grundsätzlich keine Zuständigkeit in der Finanzierung des Straßenpersonennahverkehrs hat und auch die Zuständigkeit für den Schienenpersonennahverkehr mit den Bahnreformen der Jahre 1994 – 1996 endete.

Die im Beschluss genannten Regionalisierungsmittel beziehen sich auf das Regionalisierungsgesetz (RegG) welches 1993 erlassen und mehrfach angepasst wurde. Die darin verankerten Mittel stellen einen Teil der Steuereinnahmen aus der Mineralölsteuer des Bundes dar und werden an die einzelnen Bundesländer seit 2014 nach dem sogenannten „Kieler Schlüssel“ (Die Berechnung erfolgt jeweils zur Hälfte nach Einwohnerzahl des Bundeslandes und bestellten Zugkilometern) verteilt, was gerade für Bundesländer mit abnehmenden und geringen Einwohnern mit einem jährlichen Mittelrückgang verbunden war.

  • Freistaat Thüringen

    Auf den Freistaat Thüringen entfielen hier beispielsweise 3,9900 % im Jahr 2014 und 3,4706 % in 2019 was 2014 einem Betrag von ca. 291 Millionen Euro aus einem Gesamtvolumen von ca. 7,3 Milliarden Euro entsprach.

  • Nordrhein-Westfalen

    Auf das Bundesland entfielen 15,7600 % im Jahr 2014 und 17,3750 % in 2019 was 2014 einem Betrag von ca. 1,15 Milliarden Euro aus einem Gesamtvolumen von ca. 7,3 Milliarden Euro entsprach.

Durch ein Bund-Länder-Gespräch im Jahr 2016 wurde die Mittel jährlich 200 Millionen Euro im Gesamtvolumen erhöht, ohne diese Dynamisierung hätten Verkehrsleistungen gekürzt bzw. eigenen Haushaltsmittel der Länder verstärkt zum Einsatz kommen müssen.

Praktisch erhalten die Länder also jährlich Mittel des Bundes und bestellen dafür u.a. Leistungen im Schienenpersonennahverkehr. Eine Deckelung von Einnahmeverlusten der Verkehrsunternehmen aus dem 9 Euro Ticket ist damit nicht einfach umsetzbar, die Höhe dieser Verluste steht nicht in direkter Verbindung zur Einwohnerzahl oder den Streckenkilometern, hier handelt es sich vornehmlich um die Deckung aus Fahrscheinerlösen.

Zumindest auf den Freistaat Thüringen kann man behaupten, dass die Erlöse aus dem Ticketverkauf des Straßenpersonennahverkehrs 40 % der Kosten decken, der restliche Anteil sind in der Regel direkte Zuschüsse und Ausgleichsleistungen. Besonders zu berücksichtigen ist hier jedoch zusätzlich, dass bestimmte Ticketarten im Allgemeininteresse mit Rabatten verkauft und anschließend durch die Bundesländer subventioniert werden (z.B. Schülerfahrausweise und Fahrscheine von Auszubildenden). Die Einführung eines generellen 9-Euro-Tickets für alle Fahrgäste ist hier mit einem entsprechenden Risiko für die Finanzierung des Nahverkehrs im ländlichen Raum verbunden, dort stellen eben diese vergünstigten Tickets einen wichtigen Pfeiler in der Gesamtfinanzierung dar. Werden diese nicht mehr verkauft/ gekauft tritt automatisch eine Schieflage bei den Aufgabenträgern/ Verkehrsunternehmen ein.

Fragestellungen/ Probleme

Unabhängig von dieser Problematik stellt sich die Frage wie die vorrausichtlich 2,5 Milliarden Euro bei den Unternehmen ankommen sollen. Hier gilt es insbesondere noch zu beachten, dass die Finanzierung des Nahverkehrs über Brutto- bzw. Nettoverträge erfolgen kann. Damit unterscheidet man das Erlösrisiko bzw. wer die Erlöse einnimmt. So kann man z.B. Vereinbarungen, dass man eine Streckenleistung für einen „festen“ Preis einkauft und die Erlöse der Fahrgäste an den Aufgabenträger vollständig abgeführt werden. Hier hätte das Verkehrsunternehmen kein Risiko aus dem 9 Euro Ticket, entgegengesetzt wäre ein Nettovertrag mit Erlösen beim Verkehrsunternehmen und einer Kalkulation aus Streckenentgelten und Fahrscheineinnahmen.

Ebenso ist der zeitliche Horizont noch unklar, also wie die Auszahlung erfolgen soll. Besonders viele kleine eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen würden durch ein langsames Auszahlungsregime in ihrer Liquidität stark eingeschränkt bzw. gefährdet.

Komplett unklar ist auch noch, was bei einer Nachfragesteigerung und einer damit notwendigen Kapazitätsanpassung passiert. Praktisch könnte eine Erhöhung der Nachfrage zu Doppeltraktionen im Schienenverkehr bzw. kürzeren Takten führen, deren Kosten aktuell noch nicht in die Bereitstellung aus den Regionalisierungsmitteln eingepreist sind.

Kurze Übersicht zu aktuellen Fragen zum 9-Euro-Ticket: